„Welche Kamera soll ich mir kaufen“ oder „Ist die Kamera im aktuellen Blödmarkt-Prospekt gut?“ sind Fragen, die ich oft von Bekannten und Freunden zu hören bekomme. Gemeint ist dann in der Regel eine Spiegelreflex-Kamera.
Auf meine Gegenfrage „Was willst Du denn mit der Kamera machen?“ oder „Für was gut?“ blicken mich dann zwei Augen fragend an. Diese Frage stelle ich aber absichtlich, um zu provozieren. Denn hinter der ursprünglichen Frage meines Gegenüber steckt in fast allen Fällen die Hoffnung: „Ich kaufe mir eine teure Spiegelreflex und kann damit dann tolle Fotos machen.“
„Ja, kann.“ Kann ist hier das entscheidende Wörtchen. Ohne das entsprechende Wissen werden aber die Fotos aus der teuren Spiegelreflex nicht besser aussehen, wie die Fotos aus der Handykamera.
Eine Kamera ist kein Lifestyleprodukt sondern ein Werkzeug
Etwas deutlicher wird die obige Aussage, wenn man die Kamera als Werkzeug begreift. Ich kann in den Baumarkt gehen, kaufe mir das ganz große, teure Werkzeugset, ein paar Nägel und teure Holzbretter. Und obwohl ich so viel Geld für das Werkzeug und das Material ausgegeben habe: wenn ich nicht weiß, wie ich damit eine Gartenhütte baue, wird höchstens ein genagelter Bretterverschlag daraus.
Genau so verhält es sich in der Fotografie. Die Kamera ist ein Werkzeug. Und ohne „Know-How“, wie ich das Werkzeug einsetze, werde ich weder das Bad fließen, noch die Gartenhütte bauen können.
So lange Du nicht weißt, welche Kamera Du Dir kaufen sollst, brauchst Du keine neue
Zugegeben, provokante Aussage. Aber Du hast bereits mindestens eine Kamera, die in Deinem Smartphone. Was stört Dich an der? Welche Funktionen und Eigenschaften fehlen Dir?
Kurz zurück zur Gartenhütte: Du hast bereits eine kleine Säge: was stört Dich an ihr? Zu stumpf? Zu schneller Verschleiß? Nur für Holz geeignet, Du möchtest aber auch Metall sägen? Du willst Gehrungen präzise schneiden können?
Du merkst, worauf ich hinaus will? Jetzt kommt das Know-How ins Spiel. Nur wenn ich weiß, in welchen Punkten mir die aktuelle Säge nicht ausreicht, weiß ich auf welche Eigenschaften ich beim Kauf einer neuen achten muss. Und wenn ich schon nicht weiß, was überhaupt eine Gehrung ist, brauche ich auch keine Gehrungssäge ….. 😉
Hardware, Aufwand und Wissen – Erfolgsfaktoren eines Bilds
Das Werkzeug Kamera ist nur ein kleiner Erfolgsfaktor eines Bildes. Die beiden anderen sind Aufwand und Wissen.
Aufwand
Häufig wird von den o.g. Fragenden der zeitliche und der körperliche (ja, Fotografie kann anstrengend sein) Aufwand unterschätzt. Wie oft saß ich schon in einem Acker und wartete auf den Sonnenuntergang – dann, als es soweit ist, schiebt sich eine Wolke direkt vor die Sonne. Tja, keine Sonne = kein Sonnenuntergang. Wieder zwei Stunden umsonst im Feld gesessen. Spätestens nach dem zweiten erfolglosen Versuch am nächsten Tag ist Frust vorprogrammiert.
Bist Du bereit, nochmal zehn oder zwanzig Stunden an Nachbearbeitung in die Fotos vom letzten Urlaub zu stecken?
Nicht zu unterschätzen ist auch der körperliche Aufwand. Für die Kugelpanoramen aus Berlin und Valencia zum Beispiel, habe ich den kompletten Urlaub über die Kamera, die Panoramaausrüstung und ein Stativ mitgeschleppt. Klar, mir gefallen die Ergebnisse. Aber ein erholsamer Urlaub sieht irgendwie anders aus.
Wissen
Wissen bei der Aufnahme des Bilds: Zum Beispiel: Welchen Bildausschnitt wähle ich? Wo „platziere“ ich welche Objekte? Welche ISO, Blende und Verschlusszeit wähle ich in Extremsituationen (verzichte ich auf z.B. Schärfentiefe zugunsten der ISO?)? Welche Bildwirkung will ich erzielen (Weitwinkel vs. Zoom)?
Wissen bei der Nachbearbeitung: Wo liegt Optimierungspotential? Welche stellen retuschiere ich? Verändere ich den Bildausschnitt? Und wie mache die das Ganze dann? Wie erstelle ich ein Panorama? Wie erzeuge ich eine bestimmte Lichtstimmung.
First things first
Wenn Du bisher „nur“ knipsend unterwegs warst, Dich also nicht etwas tiefer mit der Fotografie auseinandergesetzt hast, hast Du im Punkt „Wissen“ das größte Verbesserungspotential (nicht im Kauf einer neuen Kamera). Hier liegt das Geheimnis besserer Bilder vergraben. Du musst den Schatz nur heben. Und ja klar: von heute auf morgen geht das nicht und ja, es kann auch anstrengend sein.
Zudem der Aufwand: welchen Aufwand bist Du bereit zu treiben? Möchtest Du wirklich drei Mal in Folge erfolglos morgens um halb vier auf einen Berg steigen, nur um dann beim vierten Versuch den schönen Sonnenaufgang zu erwischen? Möchtest Du Deiner Partnerin oder Deinem Partner beim Urlaubsdinner um halb neun klar machen, dass sie oder er etwas schneller essen soll, da ihr sonst das Foto der Kathedrale zur blauen Stunde verpasst? Willst Du auf Reisen wirklich einen 10kg schweren Rucksack mit Dir rumschleppen?
Auch hier: Du kannst noch so teure Spiegelreflexkameras kaufen. Wenn Du den eben genannten Aufwand nicht betreiben magst, wirst Du die entsprechenden Bilder nicht machen.
Meine Empfehlung
Kamera:
Benutze die Kamera Deines Smartphones und steck Energie, Zeit und Geld erstmal in Wissen und Aufwand. Wenn es unbedingt eine neue Kamera sein soll, kauf Dir irgendeine kleine Kompaktkamera, die Fotos in RAW aufnehmen kann. Alles andere ist egal. RAW ist das Stichwort. Die Kamera entwickelt dann nicht selbständig die Daten, die vom Sensor kommen und macht daraus ein JPG. Vielmehr speichert sie diese Daten in eben jener RAW-Datei, die Du dann selbst mit u.g. Software zum fertigen Bild entwickelst.
Software:
Kauf Dir Lightroom von Adobe. Damit entwickelst Du die RAW-Dateien, die aus Deiner Kamera kommen zum fertigen Bild. Du entscheidest, wie rot das rot sein soll, nicht Deine Kamera. Das hört sich jetzt furchtbar kompliziert an, ist es aber nicht. Es gibt auf Youtube zahllose kostenlose Anleitungen für Lightroom.
Fachbücher:
Ein Einsteigerbuch, das ich jedem nur ans Herz legen kann: „Digitale Fotografie“ von Scott Kelby (ISBN 978-3-8273-3198-4). Das Buch ist ein Sammelsurium von kleinen und großen Tipps von der Motivgestaltung bis zur Bearbeitung. Dabei pflegt Kelby einen unterhaltsamen, lockeren Stil. Kostprobe? „Was mache ich, wenn der Himmel nur trist und grau ist?“ „Dann fotografier einfach weniger Himmel!“ 😉
Mit diesen drei Anschaffungen hast Du die perfekten Werkzeuge, bessere Fotos zu machen. Beschäftige Dich mit diesen Werkzeugen und Du wirst immer besser werden.
Und wenn Du dies intensiv tust, wirst Du irgendwann an die Grenzen Deiner Kamera stossen. Dann weisst Du aber, was Dir bei der aktuellen Kamera fehlt und kannst Dir Deine nächste Kamera aussuchen. Du weisst ja, was sie können muss und ob Du nun eine Gehrungssäge brauchst oder es nicht auch der günstige Fuchsschwanz tut.
Zwei Beispiele:
Das erste Bild machte meine Freundin vor drei Jahren in Bangkok mit einer Samsung WB2000 (kleine Kompaktkamera, ähnlich der Canon S110 oben) – nach einer Kurzanleitung von mir per Telefon. Entwickelt habe ich das Bild dann mit Lightroom.
Klar, erfahrene Fotografen sehen schnell die Grenzen dieser Kompaktkamera. 99% der Betrachter Deiner Bilder sind aber keine erfahrenen Fotografen!
Das nächste Beispiel ist ein Schnappschuss aus dem letzten Urlaub mit dem iPhone6. Nur ganz leicht mit Lightroom bearbeitet:
Prinzipiell ein sehr lesenswerter Artikel! Doch warum empfiehlst Du für die RAW-Entwicklung gleich die Anschaffung einer Gehrungssäge (Lightroom)? Auch hier kann ein Einsteiger zu Beginn mit einem Fuchsschwanz (z.B. RawTherapee oder Darktable) nach einer gewissen Einarbeitung tolle Ergebnisse erzielen. Und auch für den Fuchsschwanz gibt es zahlreiche Anleitungen, Video-Tutorials und Handbücher in den Weiten des www! 😉
Grüße
Hallo Chrischan,
vielen Dank für Dein Feedback!
Daß ich Lightroom empfehle hat einen ganz einfachen Grund: ich weiß zwar, daß es RawTherapee oder Darktable gibt (gäbe ja noch z.B. Capture One pro), hab aber nie wirklich mit ihnen gearbeitet. Lightroom ist das Tool, das ich nutze und sicher bin, daß ein Anfänger nach ein bisschen Einarbeitung auch zurecht kommt. Das kann ich bei den anderen weder bejaen noch verneinen.
Grüßle
Harry