„Kenne Deinen Sport“ beziehungsweise die Sportart, die Du fotografierst. Eine steinalte Weisheit, die ich unterschreiben kann – meiner Meinung nach aber trotzdem nur die halbe Wahrheit auf dem Weg zum guten Sportfoto. Denn es geht darum vorauszuahnen, welche Aktion als nächstes kommt. Dann kannst Du Deinen Standpunkt, Focuspunkt, Bildausschnitt usw. darauf einstellen. Je besser Dir das gelingt, desto höher die Chancen auf ein gutes Foto.
Kenne Deinen Sport
Je besser Du die Sportart kennst, desto besser kannst Aktionen und Spielzüge voraussagen und Dich kameratechnisch darauf einstellen. Wenn Du gar keinen Plan hast, wie die Sportart tickt, dann wird es nur auf Zufallsschnappschüsse hinauslaufen.
Die Regeln
Nehmen wir American Football als Beispiel: Football wird auf einem Fußballfeld, also auf einem relativ großen Platz gespielt. Fotografieren darfst Du in der Regel von der Seitenlinie oder von hinter der Endzone aus. Angenommen, Du stehst hinter der Endzone, fotografierst den Angriff von Team A und es sind 14 Minuten gespielt. Wenn Du nun weißt, daß nach 15 Minuten Spielzeit das erste Viertel zu Ende ist und die Seiten gewechselt werden – Team A also plötzlich in Richtung der anderen Endzone spielt, kannst Du Dich unmittelbar nach dem Anbpfiff des ersten Viertels auf den Weg in die gegenüberliegende Endzone machen. Und stellst nicht erst bei Anpfiff von Viertel zwei überrascht fest, daß Du völlig falsch stehst.
Gepflogenheiten
Anderes Beispiel: Turnen. Im Tipp Standort und -höhe hatte ich es schon erwähnt. Turner führen ihre Übungen immer in Richtung Kampfgericht aus. Wenn Du das weißt, kannst Du Dich enstprechend platzieren und die Sportler werden in Richtung Deiner Kamera turnen.
Oder Boxen. Beim Boxen ist es selbst mit Top-Kameras oft brutales Glück, einen Treffer zu fotografieren – also ein Treffer, der weh tut oder zumindest so aussieht. Dabei verleiht spritzender Schweiß dem fotografierten Schlag eine gewissen Dynamik – na, wenn da der Schweiß so wegspritzt, wirds ja ein Volltreffer gewesen sein! Muss aber nicht (weiß der Fotograf … ): in den Ringpausen werden die Boxer von ihren Betreuern mit literweise Wasser übergossen (warum auch immer). Die Sportler sind also direkt nach der Ringpause klatschnass. Da reicht ein harmloser Schlag in die Doppeldeckung (wie auf obigem Bild) und schon spritzt „der Schweiß“ in alle Richtungen. Schon hast Du Deinen „Volltreffer“
Hintergrundwissen
Weisst Du, daß Sportler Müller nur noch zwei Tore zum 500. Tor in der Bundesliga fehlen? Wenn ja, dann weißt Du, dass Dein Foto vom zweiten Tor von Müller an diesem Tag kein normales Foto ist, sondern das von seinem 500. Bundesligator. Wenn Du das weisst und die anderen Fotografen nicht, hast Du das bessere Foto – selbst wenn die anderen das selbe Foto geschossen haben!
Wenn Du also nicht sowieso Fan von dieser Sportart bist oder sie sogar aktiv betrieben hast hilft es nur, Dir dieses Wissen anzueignen.
Kenne Deine Protagonisten
Ich gehe aber sogar noch einen Schritt weiter – kenne nicht nur Deine Sportart, kenne auch Deine Protagonisten.
Jeder Sportler hat individuelle Bewegungs- und Verhaltensmuster. Jeder Football-Quarterback hat einen Lieblings-Passempfänger, manche Mannschaftssportler spielen lieber den Ball ab, als selbst zu werfen. Der eine Sportler regt sich regelmässig herrlich fotogen auf, der andere hat bekannte Rituale.
Je besser Du die einzelnen Sportler kennst, desto besser kannst Du vorausahnen, was kommen könnte und Dich entsprechend darauf einstellen.
Das obige Foto von Bastian Rutschmann war geplant: Rutschmann ist ein sehr emotionaler Torhüter. Seine Mannschaft führte überraschend gegen den Deutschen Meister THW Kiel. Ich wusste, bei irgendeinem der nächsten Tore seiner Mannschaft flippt er aus. Also auf ihn focussiert während er seine Mannschaft im Angriff beobachtet, hoffen dass diese ein Tor wirft und er dann in meine Richtung jubelt – und Bingo!
Aber auch abseits des reinen Spielfelds kannst Du mit Wissensvorsprung punkten. Was gibt es schöneres als ein Foto von der, auf der Tribüne mitziternden, promintenen Freundin eines Sportlers? Der lange erkrankte Ehrenspielführer des Heimteams ist heute nach mehr als einem halben Jahr wieder in der Halle? Ok, das sind jetzt keine Sportfotos. Aber diese Bilder gehören meiner Meinung nach dazu und sind auch gesucht – eben weil dieses Wissen vielen fehlt.
Kenne Deine Location
Zu guter Letzt: kenne Deine Location. Auch das Wissen über den Veranstaltungsort ist mitunter goldwert und erleichtert das Leben. In manchen Veranstaltungshallen ist das Licht auf der einen Seite doppelt so gut, wie auf der anderen. Sind viele Fotografenplätze vorhanden oder muss ich früh da sein? Wo darf ich auf dem jeweiligen Sportplatz fotografieren und wo nicht? Besteht die Möglichkeit, zum Beispiel eine Remotekamera unterm Hallendach anzubringen und wenn ja, wer sorgt dafür, dass ich da hoch komme? Wie komme ich an das WLAN-Passwort?
Zusammengefasst
Es geht also um Wissen. Wissen, das nichts mit der eigentlichen Foto- oder Aufnahmetechnik zu tun hat. Sämtliche oben genannten Punkte erleichtern Dir das Leben – eine Garantie für ein tolles Sportfoto sind sie natürlich nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit auf ein solches erhöht sich. Eigne Dir dieses Wissen daher an!
Aber Achtung!
Wie immer, wenn man sich in einem Thema besonders gut auskennt, droht die Gefahr der Betriebsblindheit! Man sieht eigentlich schöne Perspektiven oder Situationen nicht mehr, weil sie einem zu vertraut sind – nichts besonderes. Vielleicht wären sie für die Mehrheit aber doch etwas besonderes. Hinterfrage Dich und Dein Tun daher regelmässig!
Der Beitrag „Kenne Deinen Sport“ ist Teil 5 der Artikelserie „10 Tipps für bessere Sportfotos„.
10 Tipps und Anregungen zum Nachdenken, Nachmachen und Diskutieren.
Ich fotografiere viel Handball, daher beziehen sich viele Beispiele auf die Sportart Handball. Die meisten Beispiele lassen sich aber problemlos auf andere Sportarten übertragen.
Auch habe ich die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen – hast Du eine Ergänzung oder eine andere Meinung? Ich freu mich auf Deinen Kommentar!